Zeitkompetenz
Im Diskurs um die Zeit ist der Begriff der Zeitkompetenz kaum mehr wegzudenken. Im Allgemeinen ist damit der kompetente Umgang mit Zeit gemeint. Was sich aber genau dahinter verbirgt und wie diese Kompetenz entwickelt werden kann, ist noch nicht ausgelotet. Aus diesem Grund möchte dieser Beitrag in aller Kürze einige Überlegungen zur Zeitkompetenz anstellen.
Zum Umgang mit Zeit in der Gegenwart
Tag für Tag scheint den Menschen die Zeit davon zu laufen. Die bekannte Metapher vom ‚Leben im Hamsterrad’ wird zur Alltagserfahrung und macht sich in permanenter Erreichbarkeit, in Flexibilität oder Mobilität auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. In der Nonstop-Gesellschaft, in der räumliche und zeitliche Grenzen verschwinden (vgl. Geißler/Adam 1998), sind Zeitzwänge zur Realität geworden, die durch Vergleichzeitigung und Verdichtung beim Handeln kompensiert werden sollen (vgl. Rosa 2005). Dabei spielt der Umgang mit Zeit eine wichtige Rolle, weil es dabei um die Synchronisation von individuellen und kollektiven Zeiten geht, also den Ausgleich zwischen den eigenen zeitlichen Bedürfnissen und Interessen und den Anforderungen der Umwelt. Darauf machen nicht zuletzt die Initiativen, Projekte und Vereine aufmerksam, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstanden sind. Dazu zählen etwa die „Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik” (www.zeitpolitik.de), welche die Institutionalisierung einer Zeitpolitik in Gesellschaft und Politik fordert, „der Verein zur Verzögerung der Zeit” (www.zeitverein.com), eine Initiative zur „Entschleunigung des Lebens” oder das Projekt der evangelischen Akademie in Tutzing „die Ökologie der Zeit” (vgl. Geißler/Held 1993), das sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur befasst. In Bezug auf die Zeitkultur in der Schule hat Manfred Molicki (vgl. 2004) verschiedene Kriterien für eine zeitkompetente Schule als lernende Organisation aufgestellt. Er stellt dabei die zeitliche Organisation des Schullebens und den Umgang der Lehrkräfte mit Zeit in den Mittelpunkt.
Was heißt Zeitkompetenz?
Die bisherigen Ausführungen machen darauf aufmerksam, dass Zeitkompetenz zum einen die Lebenswelt betrifft, und zwar hinsichtlich des kompetenten Umgangs des Einzelnen mit seinen Eigenzeiten und Rhythmen beim Lernen oder Arbeiten sowie der Gestaltung seiner Zeiträume in der Schule, im Beruf und in der freien Zeit. Wichtig ist auf der anderen Seite aber auch, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Zeitkompetenz überhaupt realisiert werden kann. Dabei gerät vor allem die sog. Zeitsouveränität ins Blickfeld. Erst wenn Menschen in der Lage sind (und einen rechtlichen Anspruch darauf haben), ihre Zeit frei zu bestimmen, können sie einen kompetenten Umgang mit Zeit verwirklichen. In Bezug auf Zeitzwänge stellt sich also die Frage, welche Hindernisse der Umsetzung der zeitlichen Bedürfnisse und Interessen im Wege stehen. Zeitkompetenz muss also auch heißen, die zeitlichen Strukturen in der Lebenswelt und der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen und zu bewerten, um daraus Schlüsse für das eigene Handeln zu ziehen. Weiterhin geht es darum Zeitprobleme in Lebenswelt und Gesellschaft zu reflektieren, aufzuschlüsseln und nach Lösungswegen zu suchen. Schließlich ist es auch wichtig ein Zeitbewusstsein aufzubauen, um für zeitliche Fragen sensibel zu werden. In diesem Zusammenhang gilt es beispielsweise, die Akzeptanz der Zeitdisziplin, in Form von Pünktlichkeit, Terminierung oder dem Einhalten von Fristen als Normalität mit Skepsis zu betrachten und sich damit auseinander zu setzen, wie eine solche Zeitordnung eigentlich entsteht.
Wie lässt sich Zeitkompetenz fördern?
Bei der Frage wie sich Zeitkompetenz fördern lässt, wird schnell klar, dass verschiedene Bereiche angesprochen werden müssen. Dazu gehören beispielsweise die Auseinandersetzung mit den individuellen und gesellschaftlichen Zeiten, z.B. die Prioritäten jedes Einzelnen in den unterschiedlichen Lebensphasen, aber auch ökologische Zeiten, die durch Wachsen, Gedeihen und Vergehen charakterisiert sind und sich daher irgendwann nicht mehr beschleunigen lassen. Die verschiedenen Schnittstellen von Natur, Mensch und Gesellschaft müssen also in das Denken, Fühlen und Handeln mit einbezogen werden, um nachhaltige Resultate zu generieren. Wichtig ist schließlich auch, den Menschen klar zu machen, dass es auch Alternativen zum herrschenden Zeitregime und zum Zeitkorsett in der Schule gibt, wie sie sich etwa im sog. Zeitwohlstand wiederfinden. In Bezug auf die Schule gilt es Zeit zum Lernen zu lassen und Zeitzwänge abzubauen, damit diese nicht auf die Kinder und Jugendlichen übertragen werden. Unterricht muss zudem Zeitsouveränität gewähren und die Entwicklung von Zeitkompetenz auf diese Weise unterstützen. Am Ende zeigt ein kritischer Blick auf Gesellschaft und Schule aber, dass ein Bewusstsein für den Umgang mit Zeit und die Bedeutung von Zeitkompetenz für den Menschen erst noch geschaffen werden muss.
Literatur
– Adam, Barbara/Geißler, Karlheinz A./Held, Martin (Hrsg.) (1997): Die Nonstop-Gesellschaft und ihr Preis. Vom Zeitmissbrauch zur Zeitkultur, Stuttgart: Hirzel Verlag.
– Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik (2005): Zeit ist Leben. Zeitpolitisches Manifest, Berlin und Bremen, online unter: http://www.zeitpolitik.de/pdfs/ZP_Manifest.pdf (Stand Dezember 2012).
– Held, Martin/ Geißler, Karlheinz A. (Hrsg.) (1993): Ökologie der Zeit. Vom Finden der rechten Zeitmaße, Stuttgart: Hirzel Verlag.
– Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag.
– Molicki, Manfred (2004): ZEITkultur in der Schule. Anmerkungen zur Entwicklung von Zeitkompetenz in der lernenden Organisation Schule, online unter: http://www.erzbistum-muenchen.de/media/media1220120.PDF (Stand Dezember 2012).
Zum Autor: Michael Görtler, Dipl. Pol., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Politische Bildung und Politikdidaktik, Universität Augsburg. Arbeitsschwerpunkte: Politisches Lernen, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Zeit und soziale Beschleunigung, Handlungsorientierung und Methoden der politischen Bildung