Über das gute Zeiten

Einige Überlegungen zu einer Stelle in Norbert Elias‘ „Über die Zeit“

Albert Mayr

Wir reden von der „Zeit“(in der Substantivform), denken über die „Zeit“ nach, verhandeln „Zeit“. Vielleicht sollten wir kurz innehalten und das überdenken.  Norbert Elias gibt uns eine Anleitung dazu. Er schrieb:  „Beim Nachdenken über das Problem der Zeit wird man leicht von der substantivischen Form des Begriffs fehlgeleitet….Wenn es im Deutschen eine verbale Form des Zeitbegriffs gäbe, also etwa den Ausdruck „zeiten“ (analog dem englischen timing) …dann wäre der instrumentelle Charakter der Zeit (oder des „Zeitens“) ganz unverkennbar…Die Sprachgewohnheiten…bekräftigen immer von Neuem den Mythos von der Zeit als etwas, das in irgendeinem Sinne da ist, existiert und als derart Vorhandenes vom Menschen bestimmt oder gemessen werden kann…“ (Elias 1988, S. 7-8).

In der Tat müssen wir uns eingestehen, dass wir in den meisten Fällen,  in denen wir von der „Zeit“ reden, eigentlich das „Zeiten“ meinen, und zwar den Umgang mit den zeitlichen Parametern wie Dauer, Zeitpunkt, Häufigkeit, Geschwindigkeit.  Unseren Umgang damit und den der Anderen.

Nicht von ungefähr heißt der deutsche Ausdruck für das Verb:  Zeitwort – im Polnischen heißt es czasownik und auch da ist czas (Zeit) enthalten.  Unsere Sprache unterstreicht also, dass jedes Tun ein „Zeiten“ mit sich bringt, denn zeitloses Tun gibt es nicht. Und ein „Zeiten“ ohne ein Tun ebenso wenig. Auch wenn wir intentional „Nichts tun“, gehen Körper und Geist ihren Tätigkeiten nach, ohne diese wäre uns gar nicht bewusst, dass wir „Nichts tun“.

Nun geht es  nicht einfach ums Zeiten, sondern – und besonders uns an Zeitkultur Interessierten – um ein richtiges, gutes, ja  schönes Zeiten.  (Das englische timing hat  inzwischen leider einen effizienzorientierten Beigeschmack erhalten, aber davon sollen wir uns nicht irreführen lassen.)

Wenn wir Kästners (er möge es verzeihen) bekannten Zweizeiler umfunktionieren:

„Es gibt kein gutes…Zeiten

Außer man tut es.“

Bringen wir es auf den Punkt. Das Tun beschränkt sich dabei nicht auf ein Handeln oder Ausführen, sondern schließt eine lange Reihe von Tätigkeiten mit ein. Ein paar Beispiele: Die angemessene Dauer für ein Gespräch erfühlen, den besten Zeitpunkt für das Überbringen einer schlechten Nachricht kennen, wissen, wie oft man seinen Kindern einen Besuch bei den Großeltern zumuten kann, beim Wandern die richtige Geschwindigkeit  einhalten, lernen, wieviel Verzögerung bei Arbeitskollegen oder  Geschäftspartnern tragbar sein kann, usw.

Ebenso sollten wir uns angewöhnen,  ein (für uns wenigstens) erfreuliches „Zeiten“ bewusst zu erleben, zu geniessen. Es ist ja so, dass uns in unserer Zivilisation Zeit meist als Feind erscheint, etwa als unerträglich langes Warten, als Telefonanruf im ungünstigsten Moment, oder als lästig dringlicher Abgabetermin. Gerade deshalb sollten wir gutes Zeiten auskosten.

Ja, aber wenn die Anderen nicht mitmachen? Henri Michaux schrieb treffend: „Le mal, c’est le rythme des autres“. Wenn eine Besprechung in (für  uns) unerträgliche Länge gezogen wird, die Werkstatt das Auto immer noch nicht fertig hat, der Arbeitskollege plötzlich eine (für uns) unverständliche Hektik veranstaltet, usw. Natürlich dürfen wir uns über all das ärgern, aber vielleicht können wir ein paar Gedanken darauf verwenden, wie wir denn diese schlechte Zeiten erleben, bzw. erleiden.

Denn in vielen Fällen ist gutes Zeiten das Ergebnis adäquaten Verhandelns. Und bei dem Verhandeln geht es wieder einmal nicht um die „Zeit“ sondern um Beziehungen zwischen Tätigkeiten (inklusive des sogenannten Nicht-Tuns), genauer um das Wann?, das Wie lange?, das Wie oft? und das Wie schnell? bestimmter Tätigkeiten im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten. Und es geht um die individuelle Gewichtung dieser Parameter aus der heraus dann Kompromisse möglich werden. So mag beispielsweise Person A hinsichtlich des Wie lange? etwas zugestehen, wenn ihm dafür Person B ein bestimmtes Wann? ermöglicht.

Ein Beispiel: W. ist Architekt, als Freiberufler ständig auf dem Sprung, liebt schnelle Entschlüsse. Seine Frau E., Psychologin im öffentlichen Dienst, ist eingebunden in einen strikten Dienstplan; sie liebt hingegen langfristige Planungen, auch für kleine Vorhaben. Das Problem der Beiden: Das „Zeiten“ des Urlaubs. Sie möchte ihren Urlaubsmonat voll auskosten, für ihn ist das, sowohl vom Beruflichen wie von seiner Veranlagung her, zu lang. Es war offensichtlich, dass wir versuchen mussten zwischen dem „Wie lange?“  und dem  „Wie oft?“ des Urlaubens eine Art Kompromiss zu finden (hinsichtlich des Wann? von E.s Urlaub gab es nur begrenzten Spielraum). Schließlich einigten sich W. und E. auf folgende Lösung: Der „große“ Urlaub wird auf ca. 2 Wochen reduziert, dafür wollen sie, so oft es geht, ca. 3-tägige Kurzurlaube einschieben (was sie bisher nicht gemacht hatten).

Quelle:  Norbert Elias, Über die Zeit. Frankfurt a/M. 1988

 

Zum Autor: Albert Mayr (Bozen 1943), Ausbildung als Komponist.Tätig in den Bereichen der experimentellen Musik und Kunst, der Klanglandschaft, der Ästhetik der Zeit. Ab 1975 Beschäftigung mit den Möglichkeiten eines kreativen Zugangs zur Gestaltung der Alltagszeit.
Texte, u.a.:
„Time Design: Re-discovering the Qualities of Time“ in G. Morello (Hg) Between Tradition and Innovation: Time in a Managerial Perspective. ISIDA, Palermo 1997, 195-206.
„Die komponierte Stadt –  Ein klangzeitlicher Zugriff auf den Raum“ in D. Henckel & M. Eberling (Hg) Raumzeitpolitik. Leske & Budrich, Opladen 2002, 41-60.
Künstlerische Arbeiten, u.a.: Hora Harmonica (Klanginstallation), UA Gargonza – International Society for the Study of Time 1983. Von Zeiten und Leuten – am Beispiel Sarntal (experimenteller Dokumentarfilm) RAI-Bozen, PROFI-Film, 1985. Raum-Zeit-Fenster / Finestre spazio-temporali (Ausstellung/Installation), Galerie Schloss Velthurns, Feldthurns (BZ) 2008. Zeitarbeiten / A tempo. Firenze, Alefbet, 2008.

Mitglied der International Society for the Study of Time, der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik.

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